taz Nr. 6437 vom 4. Mai 2001
Mit Lea Rosh und Günter Grass: Initiative will ein Denkmal für die im
Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Bis Ende des Jahres sollen
Empfehlungen für Ausschreibung und Ort vorliegen: Bevorzugt bei allen anderen
Mahnmalen in Tiergarten
von HEIDE OESTREICH
Homosexuell sein ist erst in jüngster Zeit nicht mehr unbedingt eine Sache der
Tarnung. Der von den Nazis verschärfte Strafrechts-Paragraf 175, der jede
homosexuelle Handlung verbot, wurde erst 1969 gestrichen. Und erst im vorigen
Jahr rehabilitierte der Bundestag die nach diesem Paragrafen Verfolgten. Jetzt
soll die Verantwortung sichtbar werden: Gestern stellte die Publizistin Lea
Rosh gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) den
Aufruf für ein "Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten
Homosexuellen" vor.
In räumlicher Nähe zum Holocaust-Mahnmal, etwa auf einer der Wiesen im
benachbarten Tiergarten, könne man sich einen Ort des Gedenkens vorstellen,
erläuterte der ehemalige Berliner Grünen-Abgeordnete Albert Eckert, der seit
längerer Zeit für eine Initiative für ein solches Mahnmal spricht. Damit würde
nach dem Holocaust-Mahnmal, dem der Euthanasie-Opfer und dem der Sinti und Roma
ein vierter Gedenkort in unmittelbarer Nähe des Reichstags entstehen.
Homosexuell sein war lange eine Sache der Tarnung. Im Dritten Reich wurde sie
lebensnotwendig. Der NS-Männerbund, der einerseits ein Netz homophiler Zeichen
nutzte, indem er etwa den männlichen Körper zu einer Art Ikone stilisierte,
spaltete eben diese Homophilie radikal ab: 1935 wurde der Paragraf 175
verschärft. Von nun an galt jede gleichgeschlechtliche Handlung als "Unzucht",
ein Kuss reichte aus. Etwa 95.000 Personen, überwiegend Männer, erfasste die
"Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung" als
Homosexuelle, die meisten von ihnen waren denunziert worden. Etwa 50.000 sollen
verhaftet, zwischen 15.000 und 20.000 in Konzentrationslagern interniert worden
sein. Zwangsarbeit, "Umerziehung", Kastration: Mit Homosexuellen wurde
experimentiert, über die Hälfte der Internierten überlebte die Behandlung
nicht. Für Lesben galt der Paragraf 175 nicht. Zwar galten sie als "asozial",
doch war man der Ansicht, dass die Homosexualität "kein der deutschen Frau
eigener Wesenszug" sei. Die Unauffälligkeit der Lesben mindere zudem "die
Gefahr der Verderbnis" des deutschen Volkes, so wird der Nazijurist Rudolf
Klare in dem Band "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" zitiert.
Eine längere Auseinandersetzung darüber, ob der schwulen und lesbischen Opfer
gemeinsam gedacht werden solle, erklärte Rosh für beendet. Lesben seien zwar
nicht systematisch verfolgt worden, doch hätten sie unter der
Mutterkult-Frauenpolitik der Nazis ebenfalls gelitten und ihre Infrastruktur
sei ebenso verboten worden, lautete damals das Argument für ein
lesbisch-schwules Denkmal. Es müsse klar sein, so resümierte Lea Rosh gestern:
"die Verfolgung traf nur Männer". Mit dem Denkmal solle aber "allen gedacht
werden, die auch heute noch bedroht werden". Ende dieses Jahres muss der Beirat
des Kuratoriums für das Holocaust-Mahnmal Vorschläge für das Gedenken für die
anderen Opfergruppen vorlegen. Bis dahin hofft die Initiative, die bisher von
Schriftstellern wie Günter Grass und Christa Wolf, aber auch von Paul Spiegel,
dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, und Romani Rose, dem Vorsitzenden
des Zentralrats der Sinti und Roma, unterstützt wird, weitere prominente
Fürsprecher gefunden zu haben.
Eine "Inflation der Mahnmale", die in der Debatte um das Holocaust-Mahnmal
befürchtet wurde, sah Rosh, die für separate Mahnmale eingetreten war, nicht:
"Ja, wollen Sie denn eine Gedenkmeile?", habe Otto Schily sie damals gefragt -
ihre Gegenfrage: "Ja, warum denn nicht?"
Kommentar
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